Die Tote aus der Emscher

Die Tote aus der Emscher

Historischer Kriminalroman

Finsternis im Jahr ohne Sommer

September 1816: An Ruhr und Emscher scheint die Sonne seit Monaten nicht mehr, die Ernte verfault, es droht eine Hungersnot.
Die Menschen haben Angst.
Als eine kräuterkundige Bauersfrau hinter dem neu erbauten Schloss Oberhausen tot aus dem Fluss gezogen wird, begibt sich der Untersuchungsrichter Anton Demuth an den Ort des Geschehens.
Dort trifft er auf Menschen, die überzeugt davon sind, dass die Tote eine Hexe war, und die verzweifelt nach einem Schuldigen für ihr eigenes, hartes Schicksal suchen.

emons:
historischer kriminalroman – 320 Seiten 
ISBN 978-3-7408-1963-7
www.emons-verlag.de 

Cover 2023 Emscher 67

Blick ins Buch

 

 Donnerstag, 12. September 1816

 Der Fährmann Theodor Schimmel, der von allen Dores genannt wurde, stieß den flachen Kahn vom Werdener Ruhrufer ab. Er beäugte seinen Fahrgast, den einzigen, der heute hinüberwollte zur Essener Landstraße, mit unverhohlener Verständnislosigkeit.
 Dass der Justizrat Anton Demuth jetzt der Stadt Werden den Rücken kehrte, ausgerechnet zu dieser Stunde, da von überallher hunderte und aberhunderte Menschen hineinströmten in das Städtchen an der Ruhr, das machte Theodor Schimmel sprachlos. Er fragte seinen Passagier nicht einmal nach seinem Reiseziel. Und als der Herr Justizrat mitten auf dem Fluss sagte: »Es regnet gar nicht, Dores, ist das nicht erstaunlich?«, nickte er nur stumm.
 Anton Demuth war es recht, dass der Fährmann nicht fragte, wohin er unterwegs sei. Was hätte er schon sagen können? Zu einer Wasserleiche in der Emscher, irgendwo in der Nähe des Herrensitzes Oberhausen? Ja, vermutlich hätte er das dem alten Dores geantwortet. Viel mehr wusste er selbst nicht über das Ziel seiner unerwarteten Dienstreise, die er gerade ziemlich überhastet, aber keineswegs ungern angetreten hatte. Immerhin war er so im letzten Augenblick der Hinrichtung entkommen.
 Noch vor einer knappen Stunde hatte er im Salon seiner Wohnung am Fenster gestanden und hinuntergeschaut auf den Marktplatz, hatte auf den massiven Eichenklotz gestarrt, der mitten auf dem rot gestrichenen Holzgerüst stand, das tags zuvor errichtet worden war. Er hatte zugesehen, wie ein paar Kerle einen schwarzen Sarg herangeschleppt und ihn auf das Gerüst gewuchtet hatten, und er hatte mit Grausen beobachtet, wie ein Knecht des Scharfrichters, nachdem er die Standfestigkeit des Hackklotzes geprüft hatte, das Henkersbeil geschärft und auf den Sarg gelegt hatte.
 Die Bühne für die Hinrichtung war bereitet, und der königlich preußische Justizrat Anton Demuth, Kriminalrichter am Inquisitorialgericht zu Werden, hatte schaudernd an das Schauspiel gedacht, das dort zur Aufführung kommen sollte, und an die Rolle, die ihm darin zugedacht war.
 Der Platz hatte sich allmählich mit Menschen gefüllt, durch alle Gassen waren sie herbeigeströmt, honorige Bürger und ärmliches Bauernvolk, Kinder und Alte, Frauen und Männer. Demuth hatte auf seine Taschenuhr geschaut und seufzend festgestellt, dass es allmählich Zeit wurde, hinüberzugehen zum Zuchthaus. Von dort sollte eine Abteilung Husaren den zum Tode durch das Henkersbeil verurteilten Delinquenten zum Blutgerüst führen, und der Kriminalrichter Demuth, zwei Gerichtssekretäre, ein Priester sowie der Scharfrichter und seine Knechte sollten die grausige Prozession begleiten. Auf dem Marktplatz sollte es dann Anton Demuths Aufgabe sein, als Vertreter der preußischen Justiz dem Delinquenten noch einmal das Todesurteil und die Bestätigung desselben durch König Friedrich Wilhelm vorzulesen.
 Gerade hatte Demuth sich vom Fenster abwenden wollen, um seinen Zylinderhut aufzusetzen und seinen Gehrock überzuziehen, da hatte er unten vor dem Haus den Justizdirektor Hugo von Broich entdeckt, der sich durch die herbeiströmende Menschenmenge drängte. Nur Augenblicke später hatte seine Dienstmagd Klärchen Stüber den Herrn Direktor gemeldet.
 Noch bevor Demuth seinen Vorgesetzten hereinbitten konnte, war der grußlos an Klärchen vorbei in den Salon gestürmt und hatte atemlos hervorgestoßen: »Wir müssen umdisponieren, Herr Kriminalrat, wir müssen umdisponieren.
 Dann hatte er sich eine Weile, nach Luft schnappend, an der Lehne des großen Sessels festgehalten und an dem verblüfften Anton Demuth vorbei aus dem Fenster geschaut. Hugo von Broich war mit einunddreißig Jahren halb so alt wie Demuth, aber schon von einer enormen Leibesfülle. Erst nachdem er ein paar Minuten schnaufend das Treiben auf dem Marktplatz betrachtet hatte, hatte Demuth erfahren, warum der Justizdirektor die Strapaze auf sich genommen hatte, sein Bureau im Gericht zu verlassen und ihn aufzusuchen.
 Ein berittener Bote des Grafen Maximilian von und zu Westerholt-Gysenberg hatte im Gericht vorgesprochen und einen Leichenfund gemeldet. In den Morgenstunden war eine tote Bauersfrau mit einer höchst verdächtigen Kopfverletzung in der Emscher, nahe des gräflichen Herrenhauses, entdeckt worden.
 »Das müssen wir ernst nehmen, lieber Demuth, das müssen wir sehr ernst nehmen, und deshalb hätte ich gern, dass Sie sich um die Sache kümmern«, hatte von Broich gesagt und seinen Justizrat fragend angesehen. »Wissen Sie, wo das ist, das neue Schloss Oberhausen? Wenn Sie von Essen die Chaussee in Richtung Wesel befahren, dann überqueren Sie nach etwa anderthalb Meilen die Emscher, und genau da, linker Hand hinter der Brücke, liegt der Herrensitz mit der Poststation.«




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